Das Museum für Naturkunde Berlin gehört nicht erst seit dem Einzug von Tristan Otto, dem gewaltigen Tyrannosaurus-rex-Skelett, zu den unbedingt besuchenswerten Museen der Hauptstadt. Unsere Autorin Ariane hat sich dort umgesehen:
Freitagmittag, Chausseestraße Ecke Invalidenstraße. Die U-Bahn spuckt ein paar Leute aus, Regenschirme springen auf, und ich schiebe mein Fahrrad über den rutschigen Bürgersteig. An den Rändern lösen sich Reste von Böllern langsam im Schneematsch auf, wenn sie nicht doch noch vorher weggeräumt werden. Januar in Berlin Mitte.
An so einem Tag Urlaub zu haben, kann man verfluchen oder feiern, und wenn die Wahl auf Feiern fällt, stehen einem in Berlin rund um die Uhr alle Tore offen. Heute also ein Besuch im Museum für Naturkunde, einem der bedeutendsten Naturkundemuseen der Welt.
Das „Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung“ (so der vollständige Name) ist nicht nur berühmt für seine Ausstellungen, sondern auch ein renommiertes Forschungsmuseum, das mit Wissenschaftspartnern in über 60 Ländern zusammenarbeitet. Von den mehr als 30 Millionen Objekten, die seit der Eröffnung im Dezember 1889 hier angesammelt wurden, sind lediglich 10 Prozent für Besucher sichtbar. Die anderen 90 Prozent lagern in Kästen, Schränken und Vitrinen im weit verzweigten Reich hinter den Kulissen.
Von den Naturkundemuseen in Deutschland ist das Berliner das besucherstärkste. Das liegt sicher sowohl an den vielen Originalen, die hier ausgestellt sind (andere Museen greifen, gerade was die Vor- und Frühgeschichte angeht, oft auf Nachbildungen zurück) als auch an Highlights, die inzwischen den Status von Ikonen angenommen haben.
So zum Beispiel der Urvogel Archaeopteryx, jenes weltberühmte Fossil, das in jedem Biologie-Schulbuch abgebildet ist – als Bindeglied zwischen Vögeln und Reptilien. Weltweit gibt es davon nur ein knappes Dutzend. Das Berliner Exemplar gilt als das schönste. Hier im Naturkundemuseum wohnt es in einem abgedunkelten Séparée, hinter schummrig beleuchtetem Panzerglas. Die Mona Lisa der Naturkunde. Oder der Brachiosaurus brancai, der mit seinen 13 Metern Höhe wie eine überdimensionale Giraffe die Saurierhalle dominiert und als größtes Saurierskelett der Welt im Guinness Buch der Rekorde steht. Und nicht zu vergessen: Eisbär Knut, zu Lebzeiten im Berliner Zoo ein Medienstar, grüßt seit seinem verfrühten Ableben in erstarrter Pose die Besucher im Raum „Highlights der Präparationskunst“.
Im Dezember 2015 ist unter Medienrummel nun ein neuer Star eingezogen: Tristan Otto. Tristan Otto ist eines der weltweit am besten erhaltenen Skelette des Tyrannosaurus rex und das bisher einzige Originalskelett dieser Dinosaurierart in Europa. Die etwa 66 Millionen Jahre alten Knochen wurden 2010 im US-Bundesstaat Montana entdeckt und gelten bei Experten als einzigartiger Fund. Dass er nach Berlin gekommen ist, verdanken wir den beiden Besitzern (ja, Tristan Otto wurde von zwei Mäzenen gekauft!), die auf Anraten der internationalen Fachwelt das Berliner Museum für Naturkunde als Unterkunft für ihren Schatz bestimmten. Drei Jahre lang wird Tristan nun hier untergebracht sein. Einzige Bedingung: Er muss in dieser Zeit wissenschaftlich erforscht werden und für Besucher zugänglich sein.
Noch hat Tristan einen ganzen Saal für sich. Das wird sich bald ändern, denn am 9. Februar kommt für vier Monate ein zweiter Raubsaurier dazu: der Spinosaurus. Bis dahin aber ist der vier Meter hohe und 12 Meter lange T. rex allein unter Menschen.
Es ist kühl und ziemlich dunkel im Tristan-Saal. Vom Schädel bis zur Schwanzspitze tiefschwarz glänzend, windet sich das Skelett zwischen schlanken Säulen durch den Raum. Der Schädel – eine täuschend echte Nachbildung, das Original ist im separaten Schaukasten ausgestellt, so kann man ihm auf Augenhöhe begegnen – ist dem Hereinkommenden zugewandt, im offenen Maul stecken gewaltige Zähne, deren Sichelform sich in den Krallen wiederholt. Dass Tyrannosaurus rex eines der gefährlichsten Landraubtiere aller Zeiten war, glaubt man sofort.
Um den schwarzen Riesen herum sind technisch raffinierte Medienstationen installiert, die den Besucher auf Forschungsreise mitnehmen. Weitere in Schaukästen ausgestellte Originalobjekte vom Fundort erzählen Geschichten rund um den Fund und seine wissenschaftliche Untersuchung.
Die Forschungsschwerpunkte gliedern sich in fünf Themenbereiche:
Anatomie (Welche Informationen stecken in den Knochen?), Paläopathologie (Welche Krankheiten und Verletzungen hatte Tristan? Woran ist er gestorben?), Funktionelle Morphologie (Wie hat er sich bewegt? Welche Fähigkeiten hatte er?) , Paläoökosystem (Wie sah sein Lebensraum aus? Welches Klima herrschte? Welche Tiere und Pflanzen gab es?) und Taphonomie (Wie alt ist das Fossil? Wie ist der Erhaltungszustand des Skeletts? Warum sind die versteinerten Knochen schwarz?).
Die Stationen werden kontinuierlich um neue Forschungsergebnisse ergänzt. So kann der Besucher erleben, wie Wissenschaft funktioniert. Für Smartphone-Besitzer liefert eine App zusätzliche Informationen.
Von der Paläontologie zur Zoologie. „Evolution in Aktion“ – so lautet das Thema aller Ausstellungen hier. Am deutlichsten wird es vor der so genannten Biodiversitätswand: Mehr als 3000 Arten auf einen Blick zeigen eindrucksvoll den bunten Reichtum der Natur. Auch inzwischen ausgestorbene Arten sind dabei, wie etwa das Equus quagga quagga, das aussieht, als hätte Janosch es entworfen. Der letzte Vertreter dieser Art starb 1883 in Gefangenschaft.
Die Nasssammlung befindet sich im 2010 restaurierten Ostflügel. Etwa eine Million Fische und Reptilien lagern hier in 276 000 Gläsern mit Alkohol. Der Anblick der „eingeweckten“ und in Regalreihen gestapelten Tierkörper, aus denen jede Farbe entwichen ist, gruselt mich, und ich bekomme Gänsehaut. Das mag aber auch daran liegen, dass es hier noch kälter ist als in den anderen Räumen.
Dagegen scheinen die „Highlights der Präparationskunst“ im gleichnamigen Saal vor Lebendigkeit zu sprühen. Hier versammeln sich die Stars aus der Geschichte des Museums. Neben Eisbär Knut treffen wir auf Gorilla Bobby, der Anfang der 1930er Jahre ebenfalls im Berliner Zoo gelebt hat. Die Dermoplastik aus dem Jahr 1935 gilt aufgrund der künstlerischen Fähigkeiten der Präparatoren und der von ihnen entwickelten Imprägnierungstechnik, die die Feinstrukturen in Gesicht und Händen erhält, als präparatorisches Meisterwerk. Große und kleine Säugetiere, Vögel, Reptilien und sogar Fische laden den Besucher ein, zu gucken und zu staunen, etwas über die komplizierten Verfahren der Tierpräparation zu lernen oder auch, selbst gestalterisch aktiv zu werden – wie etwa die Männer und Frauen hier, die sich auf Klappstühlen im Raum verteilt haben und nun mit Zeichenblock und Stift versuchen, das Exponat ihrer Wahl auf Papier zu bringen. „Zeichnen im Museum“ ist nur ein Beispiel von vielen Aktionen, die das Museum für Naturkunde bietet.
Zu erwähnen wäre noch so viel: die Meteoritensammlung, die Mineraliensammlung (in historischen Vitrinen!), der ganze große Komplex zur Entstehung der Erde und unseres Sonnensystems… Aber kommen Sie lieber selbst ins Museum für Naturkunde Berlin.
Die Anfahrt zum Naturkundemuseum sollte mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen, da es direkt in der Innenstadt mit Parken schwierig werden kann. Alternativ können Sie den Besuch auch mit einer Stadtrundfahrt durch Berlin verbinden, nutzen Sie dazu einfach die Haltestellen Naturkundemuseum / Invalidenpark.
10115 Berlin
Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 10.00 bis 18.00 Uhr
Titelfoto: Carola Radke – Museum für Naturkunde Berlin